Rede von Carolin Sinhuber anlässlich der Verleihung des Abiturs im Jahr 2025

Carolin Sinhuber hielt diese Rede am 11. Juli 2025 in der Aula der Stadtteilschule Bergstedt.

 

Liebe Eltern,

mit Ihnen möchte ich meine Rede beginnen, denn ohne Sie säßen wir heut nicht hier. Sie haben nicht nur klein Johanna, Emma, Hanna oder auch Finn, Linus und Leonhard herbeigeschafft – das waren exemplarisch die beliebtesten Namen in den Geburtsjahren ihrer Kinder –, sie haben uns ihre Kinder vor 9 Jahren anvertraut und uns ein weiteres Mal das Vertrauen geschenkt, als sie diese Oberstufe für ihre Kinder mit ihnen auswählten. Dafür mein herzlicher Dank – auch für all ihre Unterstützung, für ihre Offenheit, für das Vertrauen und ihr Mitdenken, falls es mal Nöte gab. All die Mühe hat sich gelohnt, wie wir heute eindrucksvoll sehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

und ich meine damit die der Oberstufe, aber auch der Abteilungen 5–7 und 8–10, die natürlich auch heute, ebenso wie KuK anderer Schulen, die vor drei Jahren ihre Schützlinge in unsere Oberstufe schickten und heute eingeladen sind, um diesen großen Tag zu feiern. Eure pädagogische Hingabe, euer unterrichtliches Geschick, eure zahllosen Korrekturen und euer Einfühlungsvermögen diesen Jugendlichen gegenüber haben diesen Tag ebenso möglich gemacht. Mein Dank an euch.

 

Und nun zu euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten:

Anderthalb Jahre durfte ich euch begleiten und euren Weg zum Abitur bereiten, und ich tat das mit voller Freude und vor allem mit Hoffnung. Doch worauf hoffte und hoffe ich, wenn ich nun auf euch blicke, kurz bevor ich euch eure Zeugnisse in die Hand gebe und euch in ein Leben außerhalb der Schule entlasse?

Besteht denn Hoffnung auf etwas? Nun ja Veranlassung zu hoffen gibt es in diesen Zeiten ja genug, und ihr, die neue Generation, seid die Richtigen, um mich hoffnungsvoll an euch zu wenden. Ihr selbst scheint da sehr optimistisch zu sein, denn zum Einmarsch wähltet ihr das Lied „Ein Hoch auf uns“. Aber: Ist das denn überhaupt gerechtfertigt? Samir Köck wetterte gegen diesen Song in der Tageszeitung „Die Presse“. Er sei eine „unerträgliche Selbstbeweihräucherung“. Hat er da nicht recht? Denn Abitur, was ist das schon? Über 50 Prozent aller Jungen und Mädchen machen in Hamburg heute Abi, und ihr selbst schreibt in eurem Jahrbuch, es wäre vor drei Jahren viel einfacher gewesen, hierzubleiben nach Klasse 10, als sich einen beruflichen Weg zu überlegen. Dass das ein Irrtum war, habt ihr selbst später erkannt, als ihr den ersten Klausurplan gesehen habt oder Frau Kressel-Liebers ihren viel Arbeit versprechenden BoSo-Ordner verteilte. Trotzdem: Abitur – was ist das schon? Klausuren kann man mit Chat-GPT schreiben und damit zielsicher jeden Punkt erpokern – ein Vorteil, aber auch ein Fluch, der der heutigen Schülergeneration nun anhängt. Fehlende Hausaufgaben werden selten sanktioniert und dank der Verhältnisse im öffentlichen Nahverkehr hatte man doch immer eine Entschuldigung fürs Zuspätkommen.

Also Abitur, was ist das schon. Als es am 25. Juni 1834 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. eingeführt wurde, sollte es nachweisen, dass man den Grad der Schulbildung erlangt hat, welcher erforderlich sei, um sich mit Nutzen und Erfolg dem Studium eines besonderen wissenschaftlichen Fachs widmen zu können. Aber auch das ist ja – blickt man mal in so einige der besagten Boso-Ordner von vielen gar nicht gewünscht und gewollt und vielleicht auch trotz Abi gar nicht für jeden möglich.

Also wozu das Ganze?, frage ich mich als Chefin der Abteilung Oberstufe. In solchen Fällen ziehe ich gern Experten zu Rate. Meine Wahl fiel auf den Sozialisationstheoretiker Klaus Hurrelmann, der ein Buch mit dem für mich vielversprechenden Titel Die Generation Z erfolgreich gewinnen, führen und binden im Herne – Verlag 2019 herausgab.

Das half zunächst meinem Optimismus hinsichtlich eines hoffnungsvollen Blickes auf euch nicht weiter, denn Hurrelmann schrieb schlimme Sachen, z. B., dass ihr euch aufgrund der florierenden Wirtschaft und der niedrigen Geburtenrate eurer Jahrgänge auf dem Arbeitsmarkt gar nicht mehr anstrengen müsst. Arbeitssuchende, egal was sie können, haben die Möglichkeit – so las ich – frei zu wählen, und der Arbeitgeber, der früher nach dem Leistungsprinzip seine Angestellten auswählte, trete an euch wie ein Bittsteller heran. Das habe eine gelassene Stimmung in der Schule zur Folge, da es immer unwichtiger werde – wie auch ich schon erahnte –, Bestnoten und einen ausgezeichneten Abschluss zu erzielen. Als ich diese Worte las, war es mit meiner Hoffnung in Bezug auf euch dahin, und ich war gänzlich der Meinung, ein „Hoch auf uns“, also euch, ist wirklich das völlig falsche Lied zur Abiturverleihung.

Aber nun möchte ich den Blick einmal von Hurrelmann weg direkt auf euch richten, und da keimt dann doch Hoffnung auf.

Was habt ihr mir nicht alles voraus. Ihr seid die Generation der ersten Digital Natives: Fluten von Daten, Informationen und Fakenews tretet ihr mühelos entgegen, denn ihr seid mit all dem aufgewachsen. Ihr seid krisenerprobt. Trotz Corona mit Lockdown und fehlenden sozialen Kontakten seid ihr in eurer Pubertät am Ball geblieben und habt Wege und Lösungen gefunden, mit dieser Krise in jungen Jahren umzugehen, und habt gelernt, viel früher als die Generationen vor euch, das schreibt Hurrelmann nämlich auch, zu antizipieren, wann ihr Hilfe braucht, und euch diese auch zu holen.

Und Bestnoten haben viele von euch nun wirklich erzielt:

Blickt man auf eure Prüfungsleistungen, sieht man, dass viele von euch eine 1 vor dem Komma haben. Viele Klausuren wurden mit 13 und mehr Punkten geschrieben, und wir dürfen heute vier Abiturzeugnisse mit einem Schnitt von 1,0 vergeben.

Einen Schüler und eine Schülerin werden wir für ihre Leistungsbereitschaft, ihr Engagement und ihre Haltung beim Lernen sowie im Miteinander für die Studienstiftung des Deutschen Volkes vorschlagen. Ich gratuliere Maria Heller und Tom Günter.

Sehr viele von euch haben sich engagiert für die Schulgemeinschaft. Ich denke an eure Mitwirkung bei der aktiven Pause, an euer großes Engagement beim Marktplatz der Profile, an euren Ideenreichtum und euer Organisationstalent bei der Verabschiedung von Herrn Sievers oder bei der Zuwendung an die Menschen im Senator Neumann Haus.

Eure Tutorinnen und Tutoren durften euch in den vergangenen zwei Jahren begleiten, und ein Blick ins Jahrbuch zeigt, dass ein hoffnungsvoller Blick auf euch, wie ihre Beschreibungen zeigen, ein weiteres Mal angemessen scheint.

„Dialog wagen, Welt gestalten“ – ihr gilt als klug, charmant, auf die beste Weise wohldosiert streitlustig und voller Ideen. Ihr seid handlungsbereit und habt euch laut der Sicht eurer Tutoren zu beeindruckenden Erwachsenen entwickelt.

Das P2, in seiner ganzen Autonomie und Verbundenheit, ist nie zufrieden mit dem einfachen Weg, will immer noch genauer wissen, und eure Vertreter waren gerne bei mir, wenn es darum ging, unsere Oberstufe besser, gerechter und transparenter zu machen.

Und unser P3, one word, war eine ganz eigene Welt in diesem Profilkosmos unserer Schule, die ganz schön kämpfen musste und wohl auch am längsten brauchte, um die Komfortzone wirklich zu verlassen und um dann auf der Bühne doch noch zu glänzen und zu zeigen. Aus eurem ewigen „Ach nö, muss das sein?“ wurde dann doch für die meisten ein Sinneswandel, der euch ein Stück näher zusammen und in Richtung Erfolg gebracht hat. Bleibt dran, das Leben erwartet das von euch.

Das P4, „Mensch, Umwelt, Zukunft“, lerne ich gleich als die kennen, die Bäume fällen, an einem Tag 1000 Höhenmeter in den Alpen erklimmen, vor keiner Heuschrecke oder Schlange zurückschrecken, sondern auch diese Kreaturen behutsam in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Sie setzten Prioritäten, als Deutschland gegen Spanien spielte, erreichten die Züge der Deutschen Bahn, die es laut Fahrplan gar nicht mehr gab, und waren immer höflich, sodass sich Maurice wirklich für jedes einzelne Gummibärchen aus meinem Süßigkeitenvorrat bedankte, dessen bester Kunde er war.

Und dann sind da noch die Menschen im Spiegel, die sich auszeichnen durch Kreativität, Begeisterungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Planungsgeschick. Sie ließen im Unterricht die Lehrer überflüssig werden, standen mir wie Linus und Bendix als Techniker immer vom ersten Tag an zur Seite und brachten mit Rieke und Finn den zunächst etwas sperrig und überraschend hereinbrechenden Wettbewerb „Jugend debattiert“ beim Landesfinale für den gesamten Jahrgang zur Vollendung.

Und dann ist da noch Till, ein Mann, ein Profil, und zwar der eine und einzige im P6. Als einziger extern Wählender hat er es trotzdem verstanden, weiterhin Mitglied unserer Gemeinschaft zu sein – unaufgeregt, unkompliziert, der seinen digitalen Assistenten mehr als mich, seine Tutorin, beschäftigte.

Nach diesem Blick auf alle – meine lieben 84 Abiturientinnen und Abiturienten – ist sie ganz da, meine Hoffnung. Ich bin gespannt und positiv gestimmt, zu sehen, was ihr aus dieser Welt machen werdet. Denn sie braucht euch so sehr bei der Lösung der großen Fragen der Zukunft, die mehr in euren Händen liegt als in denen der Lehrer- und Elterngeneration.

Denken wir zum Schluss dieser Worte an Buranis Song: Denken wir an die „Tage, die hinter uns liegen, wie lang wir Freude und Tränen schon teilen.“ Ich hoffe nun für euch, ihr findet in eurem Leben so wie hier an dieser Schule Menschen, bei denen jeder für jeden durch Feuer geht, und vor allem, dass eure Herzen euch steuern. Das scheint euch wichtig zu sein, und das ist richtig so. Macht was draus, mit all dem, was hinter euch liegt und für all das, was vor euch steht.

Und damit ein Hoch auf euch!

 

Carolin Sinhuber

11.7.2025